„DER WEIßE HAI“ - eine Anekdote
(Wie mein erster Künstlername entstand)
Es war an einem heißen Tag mitten im Sommer, so um 1978 in Potsdam an der Havel.
Ein feucht-schwüles Lüftchen lähmte die allgemeine Hektik der Stadt und alle, die nicht zwingend einem festen Arbeitsverhältnis nachgingen, vertrieben sich die Zeit beim Baden und Sonnen am Strand. Wir hatten etwa 31°C im Schatten.
Vor der wunderschönen Kulisse des Babelberger Parks erstreckte sich am Ufer der Havel eine von Rasen durchzogene Badezone, auf der sich Mütter und ihre Kinder, Rentner, Gastronomen und allerlei Freiberufler tummelten.
Babelsberg versprühte seiner Zeit als Kleinstadt an manch einer Ecke den Charme dörflicher Idylle und es hatte von je her den Eindruck, als würden sich irgendwie alle untereinander kennen, als wären alle miteinander verwandt, was ich natürlich nicht hoffe.
Seit etwa einem dreiviertel Jahr als Pianist in der Potsdamer Hardrock-Band „Erna Schmidt“, musste ich mich in diesen Tagen mit allerlei musiktechnischen Highlights der damaligen Zeit beschäftigen – Synthesizer, E-Pianos, Phaser, Flanger und vieles mehr. Produktbezeichnungen, die heute eher an das legendäre Raumschiff Enterprise erinnern.
An besagtem, heißen Sommertag mühte ich mich zu dem mal wieder mit dem Melodie-Solo eines echten, knackigen Hardrock - Titels ab,
(„Frankenstein“ von Edgar Winter – ein Wahnsinnswerk) , als mich die Lust überkam, baden zu gehen.
Was soll's, dachte ich, ich hab frei - also packte ich Handtuch und Decke ein und marschierte geradewegs zum nicht weit entfernten Strand an der Havel,
quer durch den Park von Babelsberg.
Die Strasse, in der ich in Babelsberg wohnte, die Karl-Liebknecht-Str. , war nicht nur die Einkaufs – und Promeniermeile der kleinen Stadt, sondern gestern wie heute Standort des alten Rathauses.
In diesem Rathaus gab es ein Lokal mit dem leicht widersprüchlichen Namen „Milchbar“. Widersprüchlich deshalb, weil in den Stunden, in denen ich dort verkehrte, niemals jemand auf die Idee gekommen wäre Milch zu trinken, nicht mal aus Versehen.
Tag für Tag traf sich in dieser Milchbar gegen 19.00 Uhr die Babelsberger Elite, beziehungsweise alle diejenigen, die sich dafür hielten, um die neuesten Neuigkeiten zu erfahren oder nach der Arbeit schnell ihren Durst zu stillen.
Selbstverständlich gab es für die trockenen Kehlen allerlei saftige Cocktails, aber auch so hochgeistige Getränke wie Rum-, Korn-oder Wodkacola.
Mein Gott, was haben wir dort für prächtige Abende verlebt und wie oft habe ich dort das Licht ausgemacht. Es war bequem für mich, schließlich wohnte ich nur zwei Häuser weiter.
Vor allem haben wir uns so manchen Abend vor Lachen ausgeschüttet und vergaßen dabei die Mauer und die dadurch hervorgerufene Frustration, denn unweit am Rand von Babelsberg befand sich die Grenze zu Westberlin und der uns abgeschnittene Griebnitzsee.
Die junge Chefin des Lokals, Gerlinde G., eine äußerst attraktive, kleine aber dafür wohlproportionierte Frau, schlagfertig und mit wachen Augen, hatte zum einen -das Herz immer auf dem rechten Fleck- und zum anderen eine fantastische Oberweite.
Aber nicht nur das, sie hatte auch immer das richtige Händchen dafür, ihre allabendlich wiederkehrenden, vornehmlich männlichen Bewunderer unausweichlich in ihren Bann zu ziehen.
So sehr, dass diese nicht anders konnten, als sich so lange die lähmenden Cocktails rein zu schütten, bis ihre Art zu kommunizieren und zu laufen,
mehr an die rudimentären Fähigkeiten unserer Schimpansen im Tierpark erinnerte.
Gerlindes Oberweite hatte fatale Auswirkungen. Aber bitte, zurück zu besagtem Tag.
Ich hatte mich also auf den Weg zum Strand gemacht und schlenderte an der Havel entlang, bis ich einen geeigneten Rastplatz fand.
Decke ausbreiten, Hemd aus, Hose aus, Strümpfe . . . ., plötzlich durchbrach ein gellender Schrei die Geschäftigkeit des gut besuchten Strandes.
„Aaaaahhhh, der Weiße Hai“ , zischte es über die Wiese, als wäre mir grad die Medusa persönlich erschienen, so laut, dass sich plötzlich alles zu mir umdrehte und meinen sonnenverschonten, hellhäutigen Leib betrachtete.
Wirklich schrecklich, als wäre ich ein Außerirdischer. Ich wünschte mir in diesem Augenblick, es möge ein anderer gemeint sein, nur nicht ich, aber leider blieb es allein beim Wunsch.
Irgendetwas machte mich aber sofort mit diesem Schrei vertraut, der dafür sorgte, dass für einige Sekunden keiner mehr zu sprechen wagte.
Ein Schrei, dem kurz darauf ein spöttisches Kichern folgte.
Es war nicht nur der Aufschrei des Unruhestifters, welcher mich sofort paralysierte, sondern auch ein zustimmendes Lachen vieler, sich sonnender Menschen am Strand. Die ganze Klicke räkelte sich auf dem Rasen, alle Bekannten aus der Babelberger Szene waren zufällig an diesem Nachmittag dort versammelt und grinsten wie abgesprochen.
Aber wer hat denn da nun geschrien? Gerlinde natürlich, Gerlinde aus der Milchbar, das kleine Luder.
Ihr verdankte ich diesen glücklich gewählten Beinamen, den so mancher noch heute benutzt.
Oh, wie war mir dieser Augenblick damals unangenehm und wie lange brauchte ich, meinen zunächst nur in Babelsberg frisch erlangten Scherznamen zu akzeptieren, Monate, wenn nicht Jahre.
Heute ist mein alter Scherzname „Der weiße Hai“ nur noch wenigen Insidern vorbehalten, die Jahre sind etwas verblichen und weitere Scherznamen sind gekommen und gegangen.
Dennoch, wenn ich ganz ehrlich bin, macht es mich manchmal vergnügt und zugleich sentimental, wenn jemand diesen alten Spitznamen kennt und benutzt. Er erinnert mich an unbeschwerte aber auch beschwerte Tage in einer Zeit, in der die Menschen noch gerne einander zuhörten. (Vor allem die Stasi)
An eine Zeit, in der die Menschen noch intensiver für einander da waren und wo vielleicht der eine oder andere, trotz der Unbill in jener Zeit, ein wenig glücklicher war.
© Jürgen Redecker |